M.Khorchide: Der islamische Religionsunterricht

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Titel
Der islamische Religionsunterricht zwischen Integration und Parallelgesellschaft. Einstellungen der islamischen ReligionslehrerInnen an öffentlichen Schule


Autor(en)
Khorchide, Mouhanad
Erschienen
Wiesbaden 2009: Verlag für Sozialwissenschaften
Anzahl Seiten
195 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Ansgar Jödicke

Selten hat in den letzen Jahren ein Dissertation so viel Resonanz in der Öffentlichkeit erfahren wie die Arbeit des Wiener Islamwissenschaftlers und Soziologen Mouhanad Khorchide, die 2009 unter dem Titel «Einstellungen der islamischen ReligionslehrerInnen an öffentlichen Schulen» publiziert wurde. Sie erschüttert die Grundfeste des österreichischen Selbstverständnisses im Umgang mit dem Islam.

In einer Zeit, in der in vielen Ländern Europas die Muslime um Gleichberechtigung kämpfen, gilt Österreich mit seiner frühen öffentlichen Anerkennung der islamischen Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts (in zwei Etappen 1912 und 1979) als Musterbeispiel für eine gelungene Integration. Religionsunterricht an staatlichen Schulen wird seit dem Schuljahr 1982/83 erteilt und von öffentlichen Geldern finanziert. Die Kontrollmechanismen sind gering, doch bisher gab es nur vereinzelte Kritik an der Präsenz des Islam in den öffentlichen Schulen.

Aus der Presse war nun zu erfahren, dass Khorchides repräsentativer Umfrage zufolge 22 Prozent aller islamischen Lehrkräfte die Demokratie ablehnen, weil sie nicht mit dem Islam zu vereinbaren sei, und 18 Prozent Verständnis dafür haben, dass der Abfall vom Islam mit dem Tod bestraft werde.

Es folgten Gegendarstellungen aus der Wissenschaft, die schliesslich in der Behauptung gipfelten, die Untersuchung sei weniger eine Schande für die islamischen Religionslehrpersonen als für die Zunft der Soziologie. Unter anderem wurden vom Wiener Bildungsforscher Stefan Hopmann methodische Fehler bemängelt, z.B. dass das Item «Meiner Ansicht nach ist jemand, der die fünf Pflichtgebete nicht einhält, kein Muslim.» als Teil eines Faktors «Fanatismus» interpretiert worden sei, in Wirklichkeit jedoch eher als Ritualismus zu verstehen sei. Ausserdem sei die Studie nicht repräsentativ.

Allerdings wurden der Auswertung etwa 200 verwertbare Fragebögen zu Grunde gelegt, damit gibt es Daten von etwa der Hälfte der unterrichtenden Lehrpersonen Österreichs. Man wird kaum bestreiten können, dass diese Daten aussagekräftig sind. Das Wiener Institut für Soziologie hat die Arbeit mit «sehr gut» bewertet und sieht auch nach der öffentlichen Kritik keinen Anlass, diese Beurteilung zu ändern.

Methodische Fehler können die unbequemen politischen Aussagen der Studie nicht wegerklären. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, vor allem die Interpretation der Daten genauer zu betrachten.

Auf die Frage mit welchen Mitteln der Islam «am besten unterrichtet werden» kann, erhält das Item «moderne didaktische Methoden (konstruktivistische und kommunikative Didaktik)» am meisten Zustimmung: 66,5 Prozent antworten mit «das sehe ich genau so» und nur 8,4 Prozent sehen das «eher» oder «absolut» nicht so. Am schlechtesten schneidet das Item ab: «Koran auswendig lernen», das überall in der muslimischen Welt zu den Standards des islamischen Unterrichts gehört: Hier stimmen nur 15,1 Prozent zu, und 60,4 Prozent sehen das «eher» oder «absolut» nicht so.

Dennoch zeigt die Studie insgesamt, dass ein kleiner, aber manifester Teil (etwa 20–25 Prozent) der Religionslehrer bedenkliche politische Ansichten hegt und den Schülern und Schülerinnen zu vermitteln sucht. Das hat die Schulpolitik zu Recht beunruhigt und lässt sich weder durch methodische Mängel der Untersuchung noch durch den Umstand relativieren, dass nur ein noch viel kleinerer Teil der Befragten Gewaltbereitschaft zeigt.

Gewaltbereitschaft wurde in drei Items gemessen (Gewalt zur Verbreitung des Islam, zum Erreichen der Ziele von Muslimen in Europa und Verständnis für die Anschläge von Muslimen in Europa). Verständnis brachten nur 8,5 Prozent (bzw. 7,3 Prozent und 2,6 Prozent) der Lehrpersonen auf, die mit «trifft sehr zu» oder «trifft eher schon zu» antworteten.

Die Studie zeigt aber auch, dass die grosse Mehrheit der Religionslehrer und –lehrerinnen einen Weg sucht, traditionelle Glaubensvorstellungen auf moderne Weise in einer mit der modernen Gesellschaft kompatiblen Weise zu vermitteln. Diese Mehrheit, mit der von staatlicher Seite problemlos ein Dialog geführt werden kann, ist auch schulpolitisch der Kontext, in den demokratiefeindlich eingestellte Personen eingebettet sind. Neben der öffentlichen Diskussion über externe Kontrollen kann insofern auch auf eine interne Kontrolle gesetzt werden. Eine pauschale Verurteilung der islamischen Religionslehrer oder des islamischen Religionsunterrichts ist kontraproduktiv.

Die Untersuchung von Korchide rührt an einem wunden Punkt des islamischen Religionsunterrichts und der islamischen Religionsgemeinschaft in Europa. Ebenso gibt sie den politischen Instanzen Hausaufgaben auf. Sie zeigt aber gleichermassen, wie stark polarisierend die mediale und öffentliche Rezeption auf tatsächliche und vermeintliche Integrationsdefizite reagiert. Die Mehrheit der integrationswilligen Muslime profitiert von einer pauschalen Verurteilung nicht.

Zitierweise:
Ansgar Jödicke: Rezension zu: Mouhanad Khorchide, Der islamische Religionsunterricht zwischen Integration und Parallelgesellschaft. Einstellungen der islamischen ReligionslehrerInnen an öffentlichen Schulen, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 533-534

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